Der letzte Zeuge der Vergangenheit seiner Art

13.12.2023 | Bahnen, Seilbahnen, Slider

Der Einsessellift „Oldřichovice – Javorový vrch“ in Tschechien ist heute das letzte in Betrieb stehende Exemplar der ersten Generation dieser Seilbahngattung in der ehemaligen Tschechoslowakei.

Foto: Archiv Radim Polcer

Talstation in den ersten Betriebsjahren: Das Stationsgebäude wurde erst später um die bis dahin im Freien stehende Seilbahntechnik gebaut.
Foto: Archiv Radim PolcerFoto: Archiv Radim Polcer
Auf diesem Archivbild sind die frei aufgehängten Rollenbatterien und das Segeltuch-Dach zu erkennen.
Foto: Archiv Radim Polcer

Die Firma Wiesner aus Chrudim hat schon im Jahr 1940 als überhaupt erste Sesselbahn Europas den Einsessellift Ráztoka – Pustevny gebaut. Nach dem Krieg hat die inzwischen unter dem Namen Transporta Chrudim verstaatlichte Firma für den Bau von Sesselbahnen eine Lizenz der Schweizer Firma Von Roll erworben und nach diesem System in der damaligen Tschechoslowakei insgesamt neun Teilstrecken von kuppelbaren Doppelsesselbahnen mit den VR-101-Klemmen gebaut. Eine dieser Bahnen, die Sesselbahn Krupka – Komáří Vížka (bzw. Komáří Hůrka) in Krušné hory (Erzgebirge) ist als weltweit letzte Sesselbahn mit den VR-101-Klemmen immer noch in Betrieb (siehe ISR 6/2022, S. 28–30).

Rückkehr zu fixen Sesselbahnen

Da die Lizenz der Schweizer Firma Von Roll nicht lizenzvertragsgemäß genutzt wurde (auf Druck der kommunistischen Regierung, welche die Zusammenarbeit mit dem „bösen“ Westen unbedingt verhindern wollte), kündigte Von Roll den Lizenzvertag. So war die Firma Transporta gezwungen, Sesselbahnen eigener Konstruktion zu entwickeln. Als wesentlich einfachere und billigere Lösung wurde das System der fixen Sesselbahn gewählt. Der erste Einsessellift dieser Art wurde in den Jahren 1954/1955 hergestellt und war ursprünglich für Sarajevo im damaligen Jugoslawien vorgesehen.

Der jugoslawische Kunde hat diese Seilbahn schließlich nicht übernommen, und so wurde nach einem geeigneten Standort für die Sesselbahn auf tschechoslowakischem Gebiet gesucht. In Sarajevo wurde nach vier Jahren doch eine Seilbahn von Transporta gebaut, eine kuppelbare Zweiseilumlaufbahn mit 4er-Kabinen, die im Krieg in Jugoslawien anfangs der 1990er-Jahre beschädigt und 2018 durch eine 10er-Kabinenbahn von Leitner ersetzt wurde.

Zurück zu unserem Sessellift: Schließlich wurde beschlossen, diese Bahn auf den Berg Javorový aus der Gemeinde Oldřichovice in der Nähe der Stadt Třinec aufzustellen. Der Grund war die Nähe der Eisenhütten Třinecké železárny, da der Sessellift dem Erholungsbedürfnis der Arbeiter in den schwierigen Betrieben der Eisenhütten dienen sollte.

Vom Anfang an ein unerwünschtes Kind

Die 1.310 m lange Bahn wurde am 7. Juli 1957 eröffnet. In der Talstation befinden sich der Brückenantrieb und die Gewichtsspannvorrichtung des Förderseiles. Als Notstromaggregat ist in der Talstation ein Dieselaggregat aus einem U-Boot mit einer Leistung von 100 kW platziert. Die Seilbahntechnik der Bergstation besteht lediglich aus einer starren Umlenkscheibe. Die ursprünglichen Sessel hatten hölzerne Sitzbänke und ein kleines, mit Segeltuch bedecktes Dach. Zur Stoßdämpfung beim Überfahren der Rollenbatterien und der senkrechten Umlenkscheiben bei der Talstationsaus- und -einfahrt, wie auch auf den Stützen Nr. 6 und 10, wurde ins Sesselgehänge eine Schraubenfeder eingebaut. Die Umlenkscheiben hatten die Funktion der heutigen Rollenbatterien auf Niederhaltestützen.

Der Sessellift wurde mit Stützen in Fachwerkkonstruktion ausgestattet. Transporta nutzte diese Lösung bei fünf ihrer ersten Einsessellifte, bis die viel schöneren Rohrstützen ab ihrem sechsten fixen Sessellift, der Seilbahn Krásetín – Kleť, in Südböhmen im Jahr 1961 zum Einsatz kamen.

Wie bei den meisten Seilbahnen aus den 1940er- und 1950er-Jahren, wurden die Tschechoslowakischen Staatsbahnen (ČSD) als Bahnbetreiber bestimmt. Die ČSD waren mit dieser Entscheidung nicht besonders glücklich und versuchten bereits Ende 1957 den Sessellift zu verkaufen. Da es jedoch keine Interessenten gab, blieb der Sessellift bis 1996 im Besitz und in der Verwaltung der ČSD. Abgesehen von der notwendigen Erneuerung der Elektrotechnik im Jahr 1985 wurde zu Zeiten der ČSD keine Modernisierung an dem Sessellift vorgenommen.

Privatisierung und Modernisierung

Zum 1. Juni 1996 wurde diese Seilbahn als eine der letzten im Land privatisiert. Der neue Besitzer, die Firma Bytoslan s.r.o., führte im Jahr 1997 die nötige Modernisierung durch. Neue Rollenbatterien ersetzten die ursprünglichen frei aufgehängten Batterien, auch Sessel wurden ausgetauscht. Sie wurden von der eingestellten slowakischen Sesselbahn Turecká – Krížna bezogen. Da die slowakische Bahn viel länger war, verfügt der Betreiber über genügend Sessel als Ersatzteile.

Auch nach dieser notwendigen Modernisierung haben sich System und Charakter des Einsesselliftes kaum verändert.

Der Einsessellift ist ganzjährig in Betrieb. Im Sommer erschließt er beliebte Wanderwege, im Winter präparierte Langlaufloipen und ein kleines Skigebiet mit zwei Schleppliften. Das Kreisamt des Mährisch-Schlesischen Kreises beteiligt sich an der Instandhaltung des Sesselliftes sowie an der Präparierung von Pisten und Langlaufloipen, um den Betrieb der Seilbahn und des beliebten Naherholungsgebiets aufrechtzuerhalten. Ein Umbau der Bahn ist derzeit nicht geplant.

Foto: Roman Gric

Heute befindet sich die Talstation im Gebäude.
Foto: Roman GricFoto: Radim Polcer
Ein kurzes Kuppengerüst vor der Bergstation
Foto: Radim Polcer

Foto: Roman Gric

Im oberen Bereich führt die Lifttrasse durch eine Waldschneise.
Foto: Roman GricFoto: Roman Gric
Der genaue Einstiegspunkt ist deutlich markiert.
Foto: Roman Gric

Foto: Roman Gric

Der 62,5-kW-Antrieb, die Betriebsbremse und das Getriebe (blau) auf der Brücke in der Talstation.
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Die Übertragung des Drehmoments vom Getriebe auf die Antriebsscheibe erfolgt über ein offenes Zahnrad und einen Zahnkranz.
Foto: Roman Gric

Einsessellift „Oldřichovice – Javorový vrch“

Seehöhe Talstation 424 m ü. M.
Seehöhe Bergstation 886 m ü. M.
Schräge Länge 1.310 m
Höhenunterschied 462 m
Stützenanzahl 27 + 1 Kuppengerüst
Sesselanzahl 120
Förderseildurchmesser 28 mm
Antrieb Tal
Spanneinrichtung (Gewicht) Tal
Antriebsleistung 62,5 kW
Max. Fahrgeschwindigkeit 2,0 m/s
Sesselabstand 22 m
Fahrzeit 12,0 min
Max. Förderleistung 324 P/h
Hersteller und Baujahr Transporta Chrudim, 1957

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