(c) Michal Jarmoluk, Pixabay, Grämiger
Es ist ratsam, von Zeit zu Zeit den Blick vom operativen Tagesgeschäft zu lösen, Abstand zu schaffen und sich mit Entwicklungstrends und Spannungsfeldern zu beschäftigen. Bergbahnen wohin – 2040? Nachfolgend einige Reflexionen zu Entwicklungstrends und Spannungsfeldern, ohne – angesichts der Kürze dieser Kolumne – Vollständigkeit zu beanspruchen:
Reflexion Unternehmensgröße: Größe steigert die Professionalität und die Widerstandsfähigkeit einer Unternehmung, kann sie aber auch komplexer und schwerfälliger machen. Die Vorteile eines motivierten, professionell aufgestellten, breiten Führungsteams gleichen allerdings viele Nachteile locker aus. Es lohnt sich deshalb über den Tellerrand zu schauen und Grenzen zu sprengen. Kann die notwendige Unternehmensgröße durch Erweiterung des Unternehmenszwecks erreicht werden? Bergbahnunternehmen können sich zur serviceorientierten Betriebsgesellschaft – für Busbetriebe, DMOs, Hallenbäder, Eishallen, Gastro- und Beherbergungsbetriebe, Käsereien oder dgl. wandeln. Wer die betriebene Infrastruktur besitzt und finanziert, ist sekundär. Kräfteverhältnisse, Vernetzung und die Teilhabe lokaler und regionaler Akteure können erhalten bleiben.
Reflexion territoriale Größe: Territorial haben Bergerlebnisgebiete mehrheitlich die Grenzen des Wachstums erreicht. Verbindungen bestehender Gebiete dürfen aber nie zum Tabu werden, denn durch sie können bestehende Betten und Infrastruktur besser ausgelastet, Verkehr eingespart und der ganze alpine Raum nachhaltiger gestaltet werden. Seilbahnen sind nicht nur Sportbahnen und touristische Infrastruktur, sondern vor allem ein geniales Verkehrsmittel. So wie Seilbahnen in Zukunft in dieser Hauptfunktion vermehrt im städtischen Raum eingesetzt werden, so sollen sie auch im alpinen Raum Verbindungen ermöglichen.
Reflexion Finanzierung: Je größer (und dominanter!) die Unternehmen, desto höher die Erwartung im Markt, ohne Subventionen und öffentlicher Unterstützung auszukommen. Die Folge ist unternehmerische Selbstverantwortung und notwendiges Risikokapital für angestrebte, mutige Investitionen. Private Aktionäre erwarten entsprechende Dividenden und Erfolg – die Seilbahnen werden am Kapitalmarkt abgestraft, wenn dies nicht der Fall ist.
Reflexion Massentourismus: Soziale Medien, günstige Mobilität und globalisierte Reiseströme bewegen immer breitere Gesellschaftsschichten weltweit: Hotspots ächzen unter dem Dichtestress des Massentourismus! Auch der alpine Tourismus ist zunehmend davon betroffen. Gegenreaktion sind individualisierte Erlebnisse in unberührter Natur, Glamping, Alpinismus, Tourenski- und Schneeschuh-Trails mit negativen Folgen für Biodiversität und Wildlife. Bergbahnunternehmen hingegen pflegen, ganz in nachhaltigem Sinne, konzentrierte Erlebnisräume mit organisierten Gästeflüssen und sorgen so für einen kleineren Footprint des Tourismus.
Reflexion Nachhaltigkeit: Es führt kein Weg zurück. Das 3-Säulen-Modell hat die reine ökonomische Marktwirtschaft mit sozialer und ökologischer Verantwortung verknüpft. Für Bergbahnunternehmen, die ihr Geschäft in und mit der Natur machen, gilt dies im besonderen Maße. Klimaneutrale und umweltfreundliche Entwicklung ist die oberste Verpflichtung der kommenden Jahrzehnte, für die Seilbahnwirtschaft und den Tourismus insgesamt. Nicht das ökonomisch Machbare, sondern das ökologisch Tragbare wird sich durchsetzen. Ökologisch tragbar scheint vor allem: regionale (alpine) Erlebnisräume zu schaffen, welche für den europäischen Raum ohne Flugzeug – und am besten ohne Auto – erreichbar sind.
Reflexion Arbeitswelt: Der Arbeitsmarkt ist massiv in Bewegung: Durch demografischen Wandel, Veränderungen im Bildungssystem und Wertewandel sind Arbeitsplätze im Tourismus immer schwieriger zu besetzen. Die Ansprüche an die Arbeitswelt steigen und damit auch die Lohnkosten. Dies führt in der Servicekette zu mehr eigenverantwortlicher „Selbst“-Bedienung der Gäste, Digitalisierung (z. B. Automatisierung im Bahnbetrieb) und Substitution durch KI-Anwendungen. Wir müssen den Nachteilen einer sich abzeichnenden „Servicewüste“ aktiv entgegentreten, ohne mit der zwingend notwendigen Arbeitsmigration von in- und ausländischen Arbeitskräften den Identitätsverlust der einheimischen Bevölkerung zu stark zuzulassen.
Reflexion Pricing: Was ist der nächste Evolutionsschritt beim Ticketing? Sind dynamische Preise der Weisheit letzter Schluss? Wohl kaum. Die Antwort, die der amerikanische Markt schon länger gegeben hat, lautet: Multi-Resort-Pass (Epic, Ikon …). Auch in Europa könnte sich der Schneesportler in Zukunft ganz selbstverständlich jeweils „seinen“ Pass kaufen – mit allen Vorteilen eines einfachen Produkts, ohne das etwas komplizierte System dynamischer Preise in Kauf nehmen zu müssen.
In der Politik ist zunehmend von einer Zeitenwende die Rede: Nichts ist mehr wie gewohnt. Disruptionen, Trendbrüche und Krisen prägen das Umfeld, die Zukunft wird komplexer, und Investitionen sind mit höheren Risiken verbunden. Umso wichtiger ist es, mit Szenarien zu arbeiten, Businesspläne zu prüfen und sich mit resilienten Strategien auseinanderzusetzen – denn die Zukunft verläuft selten wie erhofft.