Schwerer Seilbahnunfall in Lissabon

23.10.2025 | Expertise & Technik, Slider

Das portugiesische Amt für Verhütung und Untersuchung von Flug- und Eisenbahnunfällen (GPIAAF) hat bereits wenige Tage nach dem Ereignis einen ersten Untersuchungsbericht veröffentlicht. Prof. Josef Nejez fasst auf Basis dieses Berichtes hauptsächlich die seilbahntechnischen Umstände zusammen, die zu dem Unfall geführt haben.

Am 3. September 2025 führte der Bruch des Zugseiles am Wagen 1 der Standseilbahn Glória im oberen Bereich der Straße Calçada da Glória in Lissabon (Abb. 1) zu einem schweren Seilbahnunfall. Der Wagen raste – trotz eingefallener Bremsen – talwärts, entgleiste bei der nächsten Straßenbiegung und zerschellte an einem Gebäude. 16 Todesopfer, fünf Schwerverletzte und 13 Leichtverletzte waren zu beklagen.

System der Standseilbahn Glória

Zum Verständnis der Vorgänge ist die Kenntnis des technischen Systems der Standseilbahn Glória eine wesentliche Voraussetzung. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine spezielle Standseilbahn, die in der heutigen Form und Konfiguration aus dem Jahr 1914 stammt. Ihre Erscheinungsform ist die einer Straßenbahn, ihre Gleise liegen auf Straßenniveau, darunter wird das Zugseil in einem Graben mit einem Schlitz zwischen den Schienen geführt. Die Fahrstrecke beträgt 276 m, der Höhenunterschied 45 m und die durchschnittliche Steigung 18 %. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 3,2 m/s, und die Fahrt dauert knapp eineinhalb Minuten.
Die beiden Wagen verkehren im Pendelbetrieb. Jeder wiegt etwa 14 t und bietet Platz für 42 Personen, davon 22 Sitzplätze, plus den Fahrer (genannt guarda-freio – Bremser). Jeder Wagen hat ein 4-rädriges Fahrgestell, auf dem der Wagenkasten aufgesetzt ist. Der Wagenkasten besteht aus einem Rahmen aus hölzernen Stützen und Querträgern und ist mit dünnem Blech verkleidet.
Die Besonderheit am vorliegenden System der Standseilbahn besteht darin, dass das Zugseil, das die beiden Wagen verbindet, in der Bergstation nicht angetrieben, sondern lediglich umgelenkt wird. Es nimmt die talwärts gerichteten Gewichtskomponenten der Wagen auf und dient also lediglich dem Gewichtsausgleich, nicht dem Antrieb. Der Antrieb jedes Wagens erfolgt durch je einen18-kW-Elektromotor für die beiden Laufachsen im Fahrgestell, die Stromversorgung erfolgt über eine Oberleitung. Gegenseil ist keines vorhanden. Die Umlenkscheibe befindet sich in einem unterirdischen Technikraum oben auf der Calçada da Glória.

Abb. 2: Schematische Darstellung des Standseilbahn-Betriebssystems (QUELLE: Laurent Berne – remontees-mecaniques.net)

Wie bereits erwähnt, verläuft das Zugseil unterirdisch, geführt auf Rollen in einem Graben mit einem Schlitz zur Straßenoberfläche, der durch zwei Z-förmige Stahlprofile gebildet wird. Die Verbindung des Zugseiles mit den Wagen erfolgt über einen speziell ausgeführten Kragarm, der vom bergseitigen Ende des Fahrwerks durch den Schlitz hinunter zum Zugseil reicht. Die Endbefestigung des Zugseiles am Kragarm erfolgt durch einen Vergusskegel in einer Vergussmuffe. Auch am talseitigen Ende des Fahrwerks befindet sich ein derartiger Kragarm, der durch ein eigenes Verbindungsseil mit dem vorderen Kragarm verbunden ist. Dieses Verbindungsseil ist ebenfalls an beiden Enden mit Vergussköpfen in Vergussmuffen verankert. An den Kragarmen sind auch die Schienenbremsen angebracht, die auf die Z-Profile des Schlitzes wirken. (Abb. 3)

Abb. 3: Schematische Darstellung des Wagens mit 4-rädrigem Fahrwerk, an dessen Enden Kragarme mit den Seilbefestigungen und Schienenbremsen angebracht sind (QUELLE: Laurent Berne – remontees-mecaniques.net)

System der Bremsen

Jeder Kragarm trägt vier bewegliche Bremsschuhe (acht Bremsschuhe pro Wagen), die über ein pneumatisch betätigtes Hebelsystem an den Flanschen der in den Straßenbelag eingelassenen Z-Profile angreifen. Dies stellt das primäre Bremssystem der Wagen dar, sowohl als Betriebs- als auch als Notbremse. Die Wagen verfügen außerdem über ein manuelles Bremssystem, das gemeinsam einen Bremsschuh an jedem Rad betätigt.

Das Bremssystem ist so ausgelegt, dass bei einem Ausfall der Zugseilverbindung zwischen den Wagen die pneumatische Schienenbremse jedes Wagens automatisch mit maximaler Kraft einfällt. Dies geschieht durch eine mechanische Einrichtung, die durch den Verlust der Seilspannkraft am Kragarm ausgelöst wird. Des Weiteren wird die Stromversorgung der Wagen durch eine in die Lagerung der Umlenkscheibe integrierte Auslösevorrichtung unterbrochen. Diese erkennt, dass die vom Zugseil übertragene Seilspannkraft fehlt. Die Unterbrechung der Stromversorgung bewirkt ebenfalls eine automatische Notbremsung.

Der Unfallhergang

Am 3. September standen um 18:00 Uhr die Wagen der Standseilbahn Glória an beiden Stationen – Wagen 1 oben auf der Calçada da Glória und Wagen 2 unten, in der Nähe des Platzes Praça dos Restauradores – und nahmen Fahrgäste auf. Gegen 18:03 Uhr, nach der üblichen Abstimmung zwischen den Bremsern, begannen die Wagen ihre Fahrt. Kurz darauf, als die Wagen erst etwa 6 m zurückgelegt hatten, riss das Zugseil an der Endbefestigung am Kragarm des Wagens 1. Der Wagen 2 wechselte die Fahrtrichtung und wurde etwa nach 10 m durch das Gleisende unsanft zum Stillstand gebracht.

Wagen 1 setzte seine Abwärtsbewegung fort und beschleunigte dabei. Der Bremser der Kabine betätigte sofort die Schienenbremse und die Handbremse. (Die Schienenbremse war unmittelbar davor bereits automatisch eingefallen). Diese Maßnahmen hatten keine merkbare Wirkung auf die Stillsetzung oder die Geschwindigkeit des Wagens, und er beschleunigte talwärts. Etwa 170 m nach Fahrtbeginn entgleiste das Fahrgestell am Beginn der Rechtskurve, die die Straße im letzten Abschnitt aufweist, und begann in Fahrtrichtung nach links auszubrechen, wobei die Kragarme in den Z-Profilen dem teilweise entgegenwirkten. Die einwirkenden Kräfte rissen die Z-Profile jedoch schließlich aus dem Asphalt heraus, der Wagen verlor seine Führung und prallte seitlich gegen die Gebäudewand auf der linken Seite der Straße, wodurch die Zerstörung des hölzernen Wagenkastens eingeleitet wurde. Anschließend prallte der Wagen frontal gegen einen Laternenmast und einen Oberleitungsmast. Beide, aus Gusseisen gefertigt, verursachten erhebliche Schäden am Wagenkasten. Letztendlich prallte der Wagen gegen die Ecke eines anderen Gebäudes und wurde völlig zerstört. Schätzungen zufolge ereignete sich der erste Anprall mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h. Der heftige Zusammenstoß wurde sofort von Passanten und anwesenden Polizeibeamten bemerkt, und die Rettungsdienste wurden umgehend benachrichtigt. Eine umfangreiche Rettungsaktion wurde eingeleitet.

Die Unfallursachen

Bei der Untersuchung des Wracks vor Ort wurde sofort klar, dass das Zugseil an seiner Endbefestigung am oberen Kragarm des Wagens 1, der seine Fahrt am oberen Ende der Calçada da Glória begonnen hatte, gebrochen war (Abb. 4).

Abb. 4: Im Bild der obere Kragarm des Wagens 1 (links) und des Wagens 2 (rechts). Das Zugseil ist am Wagen 1 an der Endbefestigung gebrochen, am Wagen 2 war die Endbefestigung des Zugseiles am Kragarm unbeschädigt. Foto: GPIAAF

Das übrige Zugseil, die Umlenkscheibe und die Zugseiltragrollen waren geschmiert und wiesen keine erkennbaren Auffälligkeiten auf. Auch am oberen Kragarm des Wagens 2 wies das Zugseil keine erkennbaren Auffälligkeiten auf (Abb. 5).

Abb. 5: Die Endbefestigung des Zugseiles am oberen Kragarm des Wagens 2 war unbeschädigt. Foto: GPIAAF

Abb. 5: Die Endbefestigung des Zugseiles am oberen Kragarm des Wagens 2 war unbeschädigt. Foto: GPIAAF

Das Zugseil ist ein 6-litziges Rundlitzenseil mit einem Nenndurchmesser von 32 mm und einer Bruchlast von 662 kN. Die zulässige Nutzungsdauer beträgt 600 Tage. Zum Unfallszeitpunkt hatte das Seil eine verbleibende Nutzungsdauer von 263 Tagen. Die Bruchursache des Seiles steht noch nicht fest. Abb. 6 zeigt das Ende des gerissenen Zugseiles.

Abb. 6: Ende des an der Endbefestigung am oberen Kragarm des Wagens 1 gerissenen Zugseiles, links unten die schematische Darstellung des Seilquerschnitts Foto: GPIAAF

Eine weitere wesentliche Unfallursache war das Versagen der Bremsen. In der aktuellen Bauform verfügen die Bremsen nicht über eine ausreichende Bremswirkung, um während der Fahrt bei einem Zugseilriss (Verlust der Gegengewichtswirkung) die Wagen anzuhalten. Daher stellen die vorhandenen Bremsen kein redundantes System für den Fall eines Zugseilrisses dar – und das offensichtlich seit der Betriebsaufnahme vor 100 Jahren!

Weitere Untersuchungen

Im vorliegenden Bericht kündigt das Amt für Verhütung und Untersuchung von Flug- und Eisenbahnunfällen (GPIAAF) die weitere Untersuchung sämtlicher relevanter Aspekte an. Voraussichtlich innerhalb von 45 Tagen soll es einen vorläufigen Bericht geben, in dem die durchgeführten Untersuchungsarbeiten und die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Schlussfolgerungen detailliert beschrieben werden. Aus seilbahntechnischer Sicht ist vor allem die Kenntnis der Bruchursache des Zugseiles wichtig, denn in der letzten Zeit haben sich einige Seilbahnunfälle mit Zugseilrissen an den Vergussköpfen ereignet (siehe Kasten).
Josef Nejez

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