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In ISR 4/2025 sowie online haben wir ausführlich über den Unfall an der Standseilbahn Glória berichtet. Etliche Fragen blieben damals noch offen. Die portugiesische Behörde für Verhütung und Untersuchung von Flug- und Eisenbahnunfällen (GPIAAF) hat nun einen vorläufigen Bericht herausgegeben, in dem die bisher durchgeführten Untersuchungsarbeiten und die derzeitigen Schlussfolgerungen detailliert beschrieben werden. Prof. Josef Nejez fasst auf Basis dieses Berichts die seilbahntechnischen Umstände zusammen, die wahrscheinlich zu dem Unfall geführt haben.
Zur Erinnerung: Bei der Standseilbahn Glória handelt es sich um eine als Straßenbahn geführte Anlage, bei der zwei Wagen im Pendelverkehr betrieben werden (Abb. 1). Die beiden Wagen sind durch ein in einem Graben unterhalb des Straßenniveaus geführtes Zugseil verbunden, das in der Bergstation an einer Seilscheibe umgelenkt, aber nicht ange-trieben wird. Das Zugseil dient also lediglich dem Gewichtsausgleich zwischen den beiden Wagen, die für den Fahrbetrieb mit Elektromotoren ausgestattet sind. Die Verbindung der Wagen mit dem Zugseil erfolgt über Kragarme, die von den Wagen-Fahrgestellen in den Graben reichen und die Zugseil-Endbefestigungen tragen.

Der Bruch des Zugseiles, der den Unfall verursachte, erfolgte am oberen Kragarm des Wagens 1. Laut dem kürzlich veröffentlichten Untersuchungsbericht der GPIAAF (portugiesische Behörde für Verhütung und Untersuchung von Flug- und Eisenbahnunfällen) waren folgende zwei seilbahntechnische Bereiche am Bruch des Zugseiles an der bergseitigen Zugseil-Endbefestigung am Wagen 1 beteiligt: die Ausführung und Funktion der Zugseil-Endbefestigung sowie die Type des verwendeten Zugseiles.
Zugseil-Endbefestigung
Grundsätzlich handelt es sich bei der Zugseil-Endbefestigung um eine Vergussverbindung. Abb. 2 zeigt das Schema der Zugseil-Endbefestigung an den Wagen der Standseilbahn Glória.

Es handelt sich dabei um eine sehr selten angewandte Konstruktion, die dem Zugseil an der Endbefestigung die freie Drehung um die Seilachse ermöglicht. Daher wird diese Art der Endbefestigung auch als Drehgelenk bezeichnet. Das Zugseil ist am oberen Kragarm mit einem Vergusskegel in einer Vergussmuffe gelagert, die die Verbindung zum Vergusskegel des Verbindungsseiles herstellt. Diese Verbindungsmuffe stützt sich gegen die Hülse des Drehgelenks ab, wobei ein Druck-Kugellager, ein Nadellager und ein Rollenlager ihre Drehung um die Längsachse ermöglichen. Die Endbefestigung des Verbindungsseiles am unteren Kragarm erfolgt auf ähnliche Art. (Interessanterweise wird im Untersuchungsbericht der GPIAAF auf die Seilspannkraft-Verteilung zwischen der Zugseil-Endbefestigung am oberen Kragarm und der Verbindungsseil-Endbefestigung am unteren Kragarm nicht eingegangen. Anm. d. Ü.)
Der Bruch des Zugseiles erfolgte an der Verbindungsmuffe des Zugseiles von Wagen 1, nur wenige Zentimeter vom Vergusskegel entfernt. Eine makroskopische Analyse der Bruchenden der gebrochenen Drähte zeigt Brüche unterschiedlichen Alters, was darauf hindeutet, dass der Bruch schrittweise über einen längeren Zeitraum erfolgte und mehrere Brucharten umfasste. Wie aus Abb. 2 ersichtlich ist, war die Bruchstelle ohne Demontage des gesamten Drehgelenks – Zeitaufwand mindestens zwei Tage – visuell nicht zugänglich und daher auch durch Augenschein nicht kontrollierbar. Ebenso konnten die an den Seilen immer wieder durchgeführten magnetinduktiven Prüfungen aufgrund der Platzverhältnisse an der Unterseite der Wagen die letzten zwei Meter an beiden Zugseilenden nicht erfassen.
Die später durchgeführte Untersuchung der Vergusskegel ergab, dass der Vergusskegel des gebrochenen Seiles einige weniger dichte Stellen und sogar Hohlräume im Guss aufwies. Metallurgische Analysen stehen noch aus.
Abb. 3 zeigt verschiedene nicht näher beschriebene Detailaufnahmen der Seilbruchstelle.

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Seiltype
Der Tatsache, dass die Zugseil-Endbefestigungen weder visuell noch magnetinduktiv geprüft werden konnten, wurde bei der Standseilbahn Glória als Sicherheitsmaßnahme durch eine ungewöhnlich kurze Aufliegedauer des Zugseiles von nur 600 Betriebstagen Rechnung getragen. Der Austausch des Zugseiles war also eine jahrzehntelang geübte Routineangelegenheit.
Wegen Ungereimtheiten beim Bestellvorgang für das nächste Zugseil kam es im Jahr 2022 dazu, dass anstelle des üblichen sechslitzigen Rundlitzenseiles mit Stahleinlage ein „schmiegsameres“ Seil mit Kunstfasereinlage geliefert wurde. Dass das wegen der Ausführung der Zugseil-Endbefestigungen als Drehgelenke Auswirkungen auf die Seilstruktur im Betrieb hatte, – insbesondere auf die Biegebeanspruchung der Seildrähte am Vergusskegel (Anm. d. Ü.) –, wurde nicht bedacht. So kam es damals dazu, dass sich das neue Seil nach dem Einbau bei Zugbelastung durch die Wagen um 4,5 m dehnte, weil es deutlich wenig torsionssteif war als die alte Seiltype und sich „aufdrehte“. Das neue Seil musste nachträglich um diese 4,5 m gekürzt werden. Das erste Seil vom neuen Typ war 601 Betriebstage ohne Zwischenfälle im Einsatz, das zweite Zugseil vom selben Typ brach nach 337 Betriebstagen.
Die GPIAAF-Untersuchung ergab folgende wichtige Feststellungen:
Das Seil entsprach nicht den beim Betreiber geltenden Spezifikationen für die Verwendung an der Standseilbahn Glória.
Das vom Hersteller ausgestellte Prüfzertifikat besagte, dass das Seil nicht mit einem Drehgelenk verwendet werden dürfe; bei der Standseilbahn Glória erfolgten die Endverankerungen jedoch mit Drehgelenken.
Zusammenfassung
Die GPIAAF betont, dass es sich bei dem Untersuchungsbericht, auf dem die obigen Feststellungen basieren, um einen vorläufigen Bericht handelt, der keinesfalls als Grundlage für allfällige Schuldzuweisungen dienen kann.
Der endgültige Bericht wird etwa in einem Jahr vorliegen.
Josef Nejez
Prof. Josef Nejez, technischer Fachredakteur der ISR, hat eine vollständige deutsche Übersetzung – ausgenommen Tabellen etc. – des auf der Website https://www.gpiaaf.gov.pt/upload/processos/d054264.pdf in englischer Sprache verfügbaren GPIAAF-Untersuchungsberichtes (34 Seiten) vorgenommen. Interessierte ISR-Leser können dieses Dokument per E-Mail an j.nejez@gmail.com anfordern (bitte im Betreff „GPIAAF-Untersuchungsbericht“ angeben).
